Hauswirtschaft schafft Werte!
Hauswirtschaftsgipfel macht Systemrelevanz nochmal deutlich.
Der zweite Hauswirtschaftsgipfel des bkh Berufsverbands für Angestellte und Selbstständige in der Hauswirtschaft (bkh) am 14. März 2023 widmete sich der drängenden Frage, wie hauswirtschaftliche Dienstleistungen angemessen berücksichtigt und bezahlt werden können. Rund 80 Gäste aus Politik, Wissenschaft und Wirtschaft waren der Einladung ins Alte Stadttheater in Eichstätt gefolgt.
„Keiner möchte sich damit befassen, aber alle geht es an“, führte Karolin Aigner, stellvertretende bkh-Vorsitzende in die Tagung ein. „ALLE, das sind nicht nur diejenigen, die den Dienst am Menschen leisten, das sind genauso Einzelpersonen, die Politik, die Presse, die Wissenschaft, die Wirtschaft. Sie alle repräsentieren und gestalten Hauswirtschaft mehr oder weniger.“ JETZT ist es an der Zeit sich bemerkbar zu machen und umzudenken. Hauswirtschaft gehört zu den systemrelevanten Berufen und ist im Gesundheitswesen existenziell.
Hauswirtschaft geht ALLE an! Karolin Aigner, stellvertretende bkh-Vorsitzende eröffnet die Arbeitstagung
„Gerade diese turbulenten Zeiten der Pandemie haben gezeigt, dass die Hauswirtschaft zu den systemrelevanten Berufen gehört und im Gesundheitswesen tatsächlich existenziell ist“, betont Alexander Anetsberger, Landrat für den Landkreis Eichstätt, und schöpft aus seinen Erfahrungen im eigenen Landkreis: „Gutes, gesundes Essen und der planerische Sachverstand unserer hauswirtschaftlichen Fachkräfte sind für das Patientenwohl und deren Genesung von grundlegender Bedeutung. Auch Tagungsstätten, Hotels, Alten- und Pflegeheime oder Kindertagesstätten würden ohne professionelle Hauswirtschaft nicht funktionieren“.
Patientenwohl und Genesung verbessern sich erheblich durch gesundes Essen und professionelle Hauswirtschaft: Alexander Anetsberger, Landrat für den Landkreis Eichstätt
Hauswirtschaft in die politische Debatte
„Gerade weil Hauswirtschaft meist im Stillen passiert, braucht sie eine umso lautere Stimme nach außen, um gesehen zu werden!“ stellt CSU-Landtagsabgeordnete Schorer-Dremel klar. Das Berufsfeld, das beste Chancen bis hin zu Führungs- und Managementpositionen bietet, muss stärker in das Blickfeld der Öffentlichkeit gerückt und politisch vorangebracht werden. Professionelle maßgeschneiderte Lösungen für die unterschiedlichsten Bedürfnisse und Lebenssituationen – im häuslichen Umfeld ebenso wie in Schulen und Kindertagesstätten, Kliniken, Pflegeeinrichtungen oder privaten Haushalten werden durch den rasanten demografischen und gesellschaftlichen Wandel dringend gebraucht.
Professionelle Hauswirtschaftskonzepte in der Pflege
Prof. Dr. Peter Bauer, Patienten- und Pflegebeauftragter der Bayerischen Staatsregierung, geht in seinem Fachvortrag noch einen Schritt weiter und fordert eine Gleichstellung der Hauswirtschaft mit der Pflege. „Pflege ohne Hauswirtschaft ist nicht denkbar. Dies muss sich auch in einer Gerechtigkeit bei der Bezahlung widerspiegeln“, bringt Bauer das wichtige Thema auf den Punkt. Gerade während der Pandemie habe die Hauswirtschaft mit Hygienekonzepten und kreativen Lösungen einen maßgeblichen Beitrag zur Bewältigung der Krise geleistet. Dadurch sei es im stationären Bereich gelungen, für hilfebedürftige Menschen eine Verbesserung der Lebensqualität zu erreichen und drohender Vereinsamung entgegenzuwirken. „Leider“, so Bauer, „sind durch die Änderung der Zuständigkeiten im Landesamt für Pflege die Antragstellung und das Anerkennungsverfahren im Bereich Alltagsbegleitung sehr schwierig und langwierig geworden. Dies muss sich in jedem Fall ändern!“
Pflege muss Hauswirtschaft gleich gestellt werden: Prof. Dr. Peter Bauer, Pflegebeauftragter in Bayern
Keine Wirtschaft ohne Hauswirtschaft!
Wie wichtig hauswirtschaftliche Tätigkeiten für das gesamtgesellschaftliche Zusammenleben sind, erörtert Prof. Dr. Ursula Münch, Politikwissenschaftlerin und Direktorin der Akademie für politische Bildung in Tutzing, ausführlich in ihrem Tagungsbeitrag. Menschen, die dauerhaft oder vorübergehend in Krankenhäusern oder stationären Einrichtungen der Pflege wohnen, sind tagtäglich auf hauswirtschaftliche Dienstleistungen angewiesen. Auch im Privathaushalt funktioniert nichts ohne eine funktionierende Hauswirtschaft. Dies wird besonders deutlich, wenn es um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf geht oder eine plötzlich eintretende Hilfebedürftigkeit die Selbstfürsorge beeinträchtigt. „Hauswirtschaft als ‚dirty work‘ zu bezeichnen und auf einzelne Tätigkeiten wie Waschen oder Putzen zu reduzieren, die eben mal so nebenbei verrichtet werden könnten, wird dem tatsächlichen Anspruch und der grundlegenden Bedeutung hauswirtschaftlicher Tätigkeiten für das Funktionieren von Wirtschaft und Gesellschaft in keiner Weise gerecht“, mahnt Münch. Und so lange diese falsche Wahrnehmung in den Köpfen verankert sei, bliebe das Berufsfeld unpopulär. Dabei umfasse Hauswirtschaft alle Bereiche von Ernährung über Textilpflege und Gebäudereinigung bis hin zu Umweltschutz sowie Haushalts- und Budgetplanung. In professionellen Zusammenhängen seien außerdem noch Hygiene- und Sicherheitsvorschriften einzuhalten, Teams zu leiten und die Ausbildung des hauswirtschaftlichen Nachwuchses voranzubringen.
Aus der Pandemie lernen
In Münchs Augen hat die Pandemie die Notwendigkeit des sorgsamen Umgangs mit Ressourcen wie auch die Wertschätzung systemrelevanter Berufe, zu denen die Hauswirtschaft gehört, mehr als gelehrt. „Jetzt ist es an der Zeit, das Gelernte anzuwenden“, fordert Münch. Bei all den gegenwärtigen Herausforderungen wie Digitalisierung, Globalisierung, Radikalisierung und Krisen müsse der Blick für das große Ganze bewahrt und notwendige Veränderungen eingeleitet werden. Den hauswirtschaftlichen Verbänden empfiehlt die Politikwissenschaftlerin: „Verbandstrukturen sollten so gestaltet werden, dass strategische Partnerschaften auf politischer Ebene nachhaltig funktionieren“. Mit der Gründung des Deutschen Hauswirtschaftsrats e. V. im Jahr 2016 ist den hauswirtschaftlichen Verbänden damit ein entscheidender Schritt in die richtige Richtung gelungen.
Jetzt ist es an der Zeit, die Erfahrungen aus der Pandemie umzusetzen: Prof. Dr. Ursula Münch, Leiterin der Akademie für politische Bildung
Podiumsdiskussion
In der anschließenden Podiumsdiskussion unter der Moderation von Bayern-2-Redakteurin Barbara Streidl (2. v. l.) diskutierten (v. r. n. l.)
- Bernhard Tarras, Bereichsleiter Einkauf und Logistik im Klinikum Fürth und
- Jutta Striegl, Schülerin an der Triesdorfer Fachakademie für Ernährungs- und Versorgungsmanagement
- Susanne Binder, Inhaberin des Betreuungsdienstes NONNA ANNA,
- Jeannine Böttcher, Inhaberin der hauswirtschaftlichen Personal–Agentur Starfamily und
- Sieglinde Ausfelder, Soloselbstständige im Bereich haushaltsnahe Dienstleistungen
miteinander.
Hauswirtschaft muss besser ins Budget
„Ohne Hauswirtschaft könnte ein Krankenhaus nicht existieren, weil zahlreiche Funktionseinheiten von ihr abhängen“, holt Tarras aus und berichtet aus seiner Arbeit im Krankenhaus. Aber eine angemessene Bezahlung und die entsprechende Bereitschaft, dies im Finanzbudget auch mit einzuplanen, spielten für die Professionalität, Effektivität und Effizienz eine grundlegende Rolle, weiß Tarras aus seiner jahrelangen Erfahrung nur zu gut. Binder findet sogar, dass hauswirtschaftliche Tätigkeiten die „Stütze für Gesellschaft und Wirtschaft“ sind und kritisiert, dass sie trotzdem nicht angemessen berücksichtigt und entlohnt würden. Striegl, die sich bewusst für eine hauswirtschaftliche Ausbildung entschieden hat, findet „das Berufsfeld ist so vielfältig und wichtig und bietet so verantwortungsvolle, sinnstiftende Tätigkeiten“.
Montessori in der Hauswirtschaft
Binder unterstreicht Striegls Aussage und zeigt am Konzept ihres Betreuungsdienstes für Menschen, die an Demenz erkrankt sind, die Tragweite und Vielfalt auf. Das NONNA-ANNA-Konzept orientiert sich an Montessoris Leitsatz „Hilf mir, es selbst zu tun“. Mit einem individuellen, pädagogisch durchdachten Beschäftigungsangebot baut es eine Art Kommunikationsbrücke zu Betroffenen und verhilft ihnen zu mehr Selbstständigkeit und Lebensfreude. So steigt das Wohl Patienten und der Angehörigen gleichermaßen und die Beschäftigten empfinden ihre Arbeit als sinnstiftend. „Es entsteht also ein Mehrwert für alle Beteiligten“, erklärt Binder. Diese Herangehensweise sei auf viele Bereiche des Zusammenlebens und –wirkens gewinnbringend anwendbar.
Miteinander Kochen in die Schule
Ein wichtiges Thema war auch, dass Wissen im Bereich Hauswirtschaft und Alltagskompetenz immer mehr verloren geht. Viele Eltern seien mittlerweile selbst überfordert mit Aufgaben der Haushaltsführung oder, wenn zum Beispiel beide berufstätig sind, könnten sie „ihren Kindern das notwendige Wissen gar nicht mehr vermitteln“, so Böttcher. Daraus ergebe sich ein immer größeres Wissens- und Selbstmanagementdefizit. Deshalb sollte hauswirtschaftliche Erziehung in Schulen integriert werden. Anstatt Kinder in der Mittagsbetreuung zu bekochen, schlägt Böttcher die Einbeziehung der Heranwachsenden vor, indem gemeinsam gekocht und der Haushalt gemanagt wird.
Damit niemand mehr wegschauen kann!
Viel Zustimmung erhielt auch die Aussage: „Wir sind immer diejenigen, die für andere im Dienst sind. Wir haben nicht gelernt, uns wichtig zu machen und zu verkaufen. Aber, wir haben es in der Hand, dass wir künftig auch mit allen Facetten wahrgenommen werden.“ Doch wie kann das gehen? Wie können junge Menschen für die Hauswirtschaft begeistert werden? Binder macht auf die digitale Medienwirksamkeit und ihre Chancen für eine verbesserte Kommunikation und Zielgruppenorientierung aufmerksam. „Vergütung und Finanzierung spielen natürlich auch eine wesentliche Rolle“, betont Tarras. Die beste Imageförderung läge außerdem im Sichtbarmachen hauswirtschaftlicher Werte in allen Bereichen von Atmosphäre über kreative Menügestaltung bis hin zur zielgruppengerechten Begleitung.
Abschließend ermunterte Streidl alle hauswirtschaftlichen Profis, möglichst oft auf ihren Beruf aufmerksam zu machen: „Damit niemand mehr wegschauen kann!“
Weitere Statements aus dem Publikum
Elisabeth Gabler-Hofrichter, stellvertretende Bürgermeisterin von Eichstätt:
Alle Kampagnen und Konzepte bringen nichts ohne die Menschen, die anpacken, lehren, pflegen und arbeiten. Vernetzung und ein Zusammentreffen wie hier auf dem Hauswirtschafts-Gipfel ist der Grundstein für den Wandel.
Hannelore Täufer, Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Evangelischer Haushaltsführungskräfte des Deutschen Evangelischen Frauenbundes – Förderkreis in Bayern (AEH):
Die Berufe der Hauswirtschaft müssen auch bei den Berufsberatungen priorisiert werden und es muss entsprechend Werbung für diese Ausbildungszweige gemacht werden.
Anneliese Göller, Ehrenkreisbäuerin des Bayerischen Bauernverbandes
Wenn der Mensch älter wird, kommt erst die hauswirtschaftliche Versorgung und Begleitung, dann die Pflege. Der Bedarf wächst stetig. Die Gutscheinmodelle für professionelle hauswirtschaftliche Erwerbsarbeit sollten endlich angewendet werden.
Forderungen
- Hauswirtschaft muss als reguläre, professionelle Erwerbsarbeit gesellschaftlich besser anerkannt werden.
- Gute Ansätze wie die Fortbildung zur Fachhauswirtschafterin müssen wieder aufgegriffen und entsprechend honoriert werden.
- Die Aus- und Fortbildung in der Hauswirtschaft muss sich finanziell lohnen.
- In der Hauswirtschaft muss es attraktive und gut bezahlte Aufstiegsmöglichkeiten geben.
- Werte der Haushaltsführung stärker in den Bildungsbereich sämtlicher Schularten
- Das im Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung angekündigte Zulagen- und Gutscheinsystem für die Inanspruchnahme für haushaltsnahe Dienstleistungen muss in der aktuellen Legislaturperiode umgesetzt werden. Wir unterstützen ausdrücklich das Positionspapier des Deutschen Hauswirtschaftsrats zur Förderung haushaltsnaher Dienstleistungen.
Der bkh Berufsverband für Angestellte und Selbstständige in der Hauswirtschaft e. V. fordert grundsätzlich, dass Dienstleistungen im Bereich Hauswirtschaft konkreter in die politische Debatte kommen und die Kanalisierung zur Politik weiter verbessert wird.
Fazit
Am Ende einer gelungenen Tagung mit offenem Austausch und vielen engagierten Akteuren aus ganz unterschiedlichen Bereichen stand der Entschluss, sich weiter im gemeinsamen Schulterschluss für die weitere Verbesserung der Hauswirtschaft einzusetzen. Hauswirtschaftliche Konzepte sind bereits da, wir müssen sie nur besser einbeziehen. Die Zeit drängt – aber der Wandel im Denken und Handeln gelingt nur gemeinsam, in einer Verantwortungsgemeinschaft aus Politik, (Haus-)Wirtschaft, Wissenschaft, Gesellschaft und der öffentlichen Kommunikation in den Medien. Der Hauswirtschaftsgipfel vernetzte die Branche nicht nur untereinander, sondern auch mit Politik und Wissenschaft, um dieses gemeinsame Denken und Handeln zu intensivieren und voran zu bringen.
Ein Ergebnis des Hauswirtschaftsgipfels ist die Einladung durch CSU- Landtagsabgeordnete Schorer-Dremel in den Bayerischen Landtag für ein gemeinsames Treffen mit der Ministerin für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Michaela Kaniber.
Ein großer Dank geht an das Organisationsteam (untere Reihe v. l. n. r.) Karolin Aigner, stellv. bkh-Bundesvorsitzende, Brigitte Tarras (Mitglied im bkh-Bundesvorstand) und Daniela Schmidt (bkh-Mitglied), an die Fachreferentin Prof. Ursula Münch und den Fachreferenten Prof. Peter Bauer, an die Podiumsgäste und an alle, die dabei waren und dazu beigetragen haben, dass der Hauswirtschaftsgipfel so erfolgreich geworden ist.
Bild von Prof. Bauer: Birgit Mellert, alle weiteren Bilder: Marion Sänger
Text: Marion Sänger und Heidrun Berger